GAME OF THRONES – eine postmodern gestaltete Serie – von Kerstin Stutterheim

(Es werden einige dramaturgische Begriffe genutzt, die im Buch in den vorangegangenen Kapiteln bereits genauer eingeführt wurden, was hier nicht durchgehend eingearbeitet werden kann.)

POSTMODERN GESTALTETE SERIE: GAME OF THRONES

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GAME OF THRONES soll hier als Beispiel einer postmodern gestalteten Serie (1) zunächst im Überblick dargestellt werden (2). Diese international sehr erfolgreiche Serie basiert auf einer Roman-Reihe von George R.R. Martin (3). Als eine Referenz für die Handlung, die Struktur und einige Charaktere kann vor allem „Henry IV.“ von William Shakespeare benannt werden.

In der Serie wird neben Shakespeare unter anderem auch auf Anton Tschechow, Andrei Tarkowski und Akira Kurosawa Bezug genommen. Eine postmoderne Ästhetik ist deutlich erkennbar. Mit der ästhetischen Gestaltung der ersten Sequenz wird auf die Künstlichkeit der Gestaltung und eine Welt jenseits unserer Wirklichkeitserfahrung verwiesen. Erkennbar wird das bereits über den Auftakt: Drei Männer auf Pferden hinter einem Gitter werden so in Szene gesetzt, dass erst das Tor hochgezogen werden muss, um sie agieren zu lassen – was an den Aufzug des ‚Eisernen Vorhangs’ im Theater oder das Hochziehen des Vorhangs zu Beginn einer Vorstellung erinnert. Nach der Darstellung einer Szenerie extremer Kälte wird das Bild einen Moment lang von der Flamme einer Fackel ausgefüllt – ein extremer Kontrast im Sinne des – vorne erläuterten – ›filmischen Konflikts‹ (4). Danach reiten die Männer durch einen Tunnel – eine auch für die Zuschauer_in nachvollziehbare körperliche Erfahrung des Durchschreitens einer Verbindung, die in einen anderen Ort führt. Erneut wird ein Tor hochgezogen, wonach das Publikum in der Totale auf eine unwirkliche Szenerie blickt, in die diese drei Reiter nun, noch etwas zögernd, eintreten.

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Die Handlung ereignet sich in einer Welt, die sich von unserer erlebten Wirklichkeit unterscheidet. Dies wird sowohl über die Bildgestaltung als auch den physischen Mit-Affekt unseres Körperbewusstseins vermittelt. Die Männer reiten in einen tief verschneiten und kontrastreichen Winterwald, der künstlich überhöht wirkt – und an den Wald in NIBELUNGEN: SIEGFRIED (Lang, D 1924) oder einen Studiowald alter Western-Filme erinnert. Über diesen ›Auftakt‹, der implizites Wissen und eine intuitive Reaktion aufruft sowie die Rezeptionsvereinbarung anbietet, kann das Geschehen fantastisch gestaltet werden. Fantastisch meint nicht den „Komplementärentwurf zum Realen, sondern zum Realistischen“ (5). In Fantasy-Filmen kann auch auf die von uns erlebte Wirklichkeit referiert werden. Insbesondere fantastische Werke, die mit Mitteln der Ästhetik der Postmoderne gestaltet sind, nutzen die so gegebenen künstlerischen Möglichkeiten, dies implizit und metaphorisch zu tun. Fantasy-Werke präsentieren „eine bis ins Detail vorgeprägte und vor-imaginierte Welt“ (6), die im Verhältnis zu unserer Lebenswelt steht. In der in GAME OF THRONES erzählten epischen Geschichte um Vertrauen und Verrat, Liebe und Hass, Machtgier versus Eintreten für die Gemeinschaft, finden sich durchaus Analogien zur Gegenwart. Ein Moment des Zeitgeists besteht auf der impliziten Ebene insbesondere in der Erfahrung instabiler Allianzen, der Brüchigkeit von Gesellschaften und einer von Katastrophen aller Art bedrohten Zukunft. „Winter is coming“ kann ebenso ganz direkt auf die von der Klimaveränderung hervorgerufenen Naturkatastrophen verstanden werden, die im Sinne des in Henry VI. in vergleichbaren Situationen und ähnlichem Rhythmus angeführten Satzes „War is coming“ die zu befürchtende Katastrophe noch verstärkt.

Dramaturgisch ist die Serie in der horizontalen Struktur explizit als epische Erzählung gestaltet. Die Handlung entspricht der einer Familiensaga in Kombination mit der Struktur von Shakespeares’ Königsdramen, angereichert durch – in Shakespeares’ Dramen bereits gegebene – Fantasy-Elemente. Zentraler Handlungsort ist eine Insel, die wie eine Variante Englands wirkt. Der Chronotopos (7) wird als eine fantastische geographische Interpretation Europas als der ‚alten Welt’ in einem unbestimmten zukünftigen Mittelalter angelegt. Mehrere Königsfamilien kämpfen um den Thron und die Macht über das ‚Westeros’ genannte Land mit seinen sieben Königreichen. Dementsprechend agiert ein umfangreiches Ensemble von relevanten Figuren in einer dramaturgisch überzeugend texturierten epischen Narration. Figuren stehen grundsätzlich im Dienst der Handlung, auch in postmodernen Fantasy-Filmen. Wenn die Gestaltung des expliziten Handlungsverlaufs zur Versinnlichung des Themas, des Bedeutungsfazits, es erforderlich macht, dass Figuren – auch Sympathieträger – aus der Handlung ausscheiden (indem sie ermordet werden oder den Schauplatz verlassen), dann kann in der Weiterentwicklung des von dieser Figur repräsentierten Prinzips eine neue Figur deren Funktion übernehmen. Zumeist hat diese Figur bereits ihre Vorgänger_in getroffen, begleitet oder zumindest eine vergleichbare Situation in einer Nebenhandlung vertreten können. Stabilisiert wird die Handlung über zwei zentrale Figurenpaare, die sich ergänzen (8) – Jon Snow (Kit Harington) und Arya Stark (Maisie Williams) sowie Tyron Lannister (Peter Dinklage) und Jamie Lannister (Nikolaj Coster-Waldau). Diese Figuren stellen jeweils autonome, unabhängige Charaktere dar und sind in ihrer Motivation von den anderen Ensemble-Figuren unterschieden gezeichnet.

Den hier erwähnten Charakteren ist gemeinsam, dass sie nicht an persönlicher Macht oder gar dem Thron interessiert sind, sondern an einer allgemeinen Stabilität und friedlichen Verhältnissen. Sie repräsentieren Spielarten des klassischen Helden, der sein Leben für das Wohl der Gemeinschaft, für Gerechtigkeit und eine geregelte Grundordnung einsetzt. Diese zentralen Figuren geben der horizontalen Gesamthandlung die Stabilität und werden sehr wahrscheinlich auch zur Lösung des Konflikts in der Wiederherstellung eines neuen Machtgefüges in der erzählten Handlung beitragen. Sie bilden den Mittelpunkt, den Kern des Ensembles, welches eine größere Personage umfasst, die in der Handlung durch einen Wechsel konkreter Figuren geprägt ist. Eine derartige Gestaltung wird möglich, da in modernen und postmodernen Produktionen Figuren für ein Prinzip stehen können. Das ermöglicht einen Wechsel der Figuren, die dieses jeweilige Prinzip repräsentieren, und die wie in einem Staffellauf geführt werden können – zum Beispiel Ned Stark und Jon Snow oder Theon Graufreund (Alfie Owen-Allen), Joffrey Baratheon (Jack Gleeson) und weitere Söhne aus zerstörten Familien, die mit grausamen Vätern gemeinsam oder nach deren Ermordung ihr Unwesen an anderen treiben. Dies sich ergänzenden, überlappenden und ablösenden Charaktere vertreten zum Beispiel das Prinzip der Gerechtigkeit oder verkörpern die besonders grausamen und hörigen Charaktere, das Prinzip des Eigennutzes, der Grausamkeit oder auch des Bösen in seinen Spielformen. Die unterschiedlichen Figuren agieren aus ihrer Zugehörigkeit oder Verbundenheit mit einer Familie oder einer ethnischen beziehungsweise sozialen Gruppe mit spezifischen Interessen heraus. Dementsprechend sind sie in ihren jeweiligen individuellen Persönlichkeitsstrukturen gestaltet, was eine abwechslungsreiche Choreographie der Figuren in der Handlung ermöglicht.

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Abb. 4

Auch in der hier diskutierten Serie ist das Geschehen stets so gestaltet, dass durch das Moment der überraschenden Wendung, das einen Affekt auslöst, einem Thema oder Motiv zur Entfaltung und emotionaler Kraft verholfen werden kann. In modernen und postmodernen Werken wird zudem ein Mitdenken, eine kritische Aufmerksamkeit des Publikums eingefordert – die jedoch ein affektive Reaktion nicht ausschließt, sondern die emotionale Identifikation mit der Hauptfigur reduziert oder überflüssig werden lässt. Die Struktur von GAME OF THRONES basiert, wie bereits erwähnt, einerseits auf der einer Familienserie. Die >Überraschung im Vertrauten< (9) liegt hier jedoch darin, dass es sich nicht um eine klassische Familiengeschichte handelt, sondern um die mehrerer konkurrierender Familien und gesellschaftlicher oder sozialer Gruppen, die familienähnliche Bündnisse eingehen. Die erste Sequenz, die noch vor dem Titel läuft, gibt als ›einleitender Akkord‹ dem gesamten Film die Basis. Diese Szene verdeutlicht einerseits, welches Bedrohungspotential der Satz „Winter is coming“ enthält. Jenseits der Mauer – die auf den Hadrianswall verweist – leben Wilde, vor deren Einwanderung man sich schützen muss. Doch dieser Auftakt erzählt von der Rückkehr einer überwunden geglaubten noch größeren Bedrohung. In einer visuellen und inhaltlichen Referenz auf Ivan (Tarkowski, SU 1962) wird der einzige der drei Späher, der mutig und umsichtig gleichermaßen die Gefahr wahrzunehmen in der Lage ist, von der wiedergekehrten Bedrohung berichten – nur, dass im Gegensatz zu Ivan man sich der drohenden Gefahr noch nicht ausreichend bewusst ist. Indem Ned Stark den Jungen als Deserteur wegen des Verstoßes gegen die Regel dem tradierten, seit Generationen befolgten Gesetz gemäß hinrichtet, verstößt er selber nun gegen die Interessen der Gemeinschaft. In dem anschließenden Dialog, den die Figur mit seinem Sohn Bran führt, wird erkennbar, dass er die Aussage des jungen Deserteurs nicht vollkommen anzweifelt.

Dramaturgisch gesehen ist demnach gut möglich, dass diese Handlung die Figur des Ned Stark in Schwierigkeiten bringt. Mit dieser ersten Szene ist die Begebenheit etabliert, zu der alles Handeln in Relation gesetzt wird. Aus diesem Grund muss die Handlung auch konsequent an der Schnittstelle einsetzen, die den unbeschwerten Alltag im Sinne des paradiesischen Zustands von der Katastrophe trennt, die sich in den „White Walkers“ als leibhaftigen unmenschlichen Inkarnationen des Bösen inkarniert. Wie in Shakespeares Henry VI. „War is coming“ die heraufziehende Katastrophe mit Leid und Zerstörung ankündigt, so wird in GAME OF THRONES mit dem immer wieder kehrenden Satz „Winter is coming“ ein vergleichbarer, aber emotional stärker wirkender, weil physisch imaginierbarer Zustand angekündigt. Diese Serie trifft den Zeitgeist, da sie von dem Ringen um die (Welt-)Macht, dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher religiös oder kulturell tradierter Wertvorstellungen ebenso erzählt, wie von dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft als auch unterschiedlichsten Idealvorstellungen von dem, was Freiheit bedeutet. In den ersten beiden Folgen oder Episoden wird nicht nur die Begebenheit etabliert, die in das Gesamtgeschehen mündet, sondern über die Gestaltung der impliziten Ebene und eine genaue visuelle Dramaturgie, die Referenz auf Konventionen und deren postmoderne Interpretation eine sehr genaue Rezeptionsverabredung etabliert. Auf der dramaturgisch im Detail genau gearbeiteten Exposition kann der weitere Verlauf auf unterschiedlichen zueinander in Relation stehenden und vielfältigen Handlungssträngen geführt werden. Überraschende Wendungen und Figurenwechsel werden über die stabile dramaturgische und ästhetisch konsequente Etablierung und Gestaltung des horizontal erzählten Königsdramas möglich.

In der Tendenz korrespondiert das zentrale Thema „Wer wird die Welt regieren? – Zum Guten oder Schlechten?“ mit dem oben beschriebenen Zeitgeistgefühl und versinnlicht sich in dem dramatischen Konflikt, der die Handlung auslöst: es werden tradierte moralische Normen und die Regeln des zivilisierten (christlich-abendländisch tradierten) Zusammenlebens missachtet, und die ‚alte Ordnung’ nicht gepflegt, befolgt und repräsentiert. Dieses Verhalten der regierenden Königsfamilie bringt in der Konsequenz alle Bewohner der ‚alten Welt’, der als zivilisiert und fortschrittlich gesetzten Region Westeros, dem „Westen“ eben, in Gefahr.

Dieser hier beschriebene Umstand wird über die Folge von Anstoß und Auslöser der expliziten Handlung deutlich: Der Moment des Anstoßes besteht in der tödlichen Vergiftung des persönlichen Sekretärs, „der Hand“ des Königs, der diesem von der heimlichen und inzestuösen Liebesbeziehung zwischen dessen Ehefrau und deren Bruder hätte berichten können. Dieser Verlust veranlasst den König samt Gefolge in die von den Starks beherrschte Provinz in den Norden reisen, um seinen alten Weggefährten zu seinem neunen persönlichen Sekretär, „der Hand“, zu ernennen. Da der König sich – wie schon im einleitenden Akkord der junge Offizier – zu sicher in seinem Amt wähnt, in einer von langen Friedenszeiten geprägten Machtposition gegebene Regeln ignoriert, ‚versündigt’ er sich. Der König säuft und schlemmt ungehemmt und öffentlich, betrügt seine Frau, verhält sich nicht seiner Position gemäß vorbildlich und ignoriert die Bedrohung von außen. Entsprechend der Erzähltradition dramatischer und filmischer Werke ruft derartiges Verhalten entweder die Herausforderung zur Sühne oder eine tödliche Strafe hervor. Hier kommt der König – wie bereits in Henry VI. in der ersten Szene beziehungsweise Episode – um und löst damit die konfliktreiche Situation aus. Aus dem – im Sinne der Konventionen der Gesellschaft gesehenen – Fehlverhalten desjenigen, der die Macht und die Verantwortung hat, die tradierten moralischen Werte der Gemeinschaft vorbildhaft zu bewahren, ergibt sich die Katastrophe. Die als Kollision zu verstehende Ermordung des engsten Vertrauten des Königs, „der Hand“ – durch die nicht minder gegen tradierte Regeln verstoßende Königin –, löst die nächste noch folgenreichere aus – den Tod des Königs. Dieser dramatische Konflikt führt zu einer Kettenreaktion, die das Land in ein Chaos stürzt und lange überwunden geglaubte feindliche Kräfte wieder auferstehen lässt, die den Konflikt verstärken. Das so aufgefächerte Geschehen kann in mehreren Stufen über die verschiedenen Handlungsstränge durchgespielt werden. Der Untergang des Abendlandes, der zivilisierten Welt, droht. Dies zu verdeutlichen tritt in der fünften Staffel das absolut Böse als dämonische Figur auf, als satanischer „White Walker“.

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Abb. 5

Insofern vertreten (ausgerechnet) die positiv wirkenden Figuren dieser Serie konservative christliche und uramerikanische Werte. Der zentrale Charakter Jon Snow ist nicht nur über die Charakterzeichnung als eine Variante des klassischen Western-Heldens gestaltet. Seine Figur wagt sich in die Weite, scheut die Konfrontation mit den „Wilden“ nicht, entsagt so lange allen sinnlichen Freuden, bis wieder Friede herrscht und die Werte einer friedlich zusammen lebenden Gemeinschaft wieder stabilisiert sein werden. Er ist ein Outcast, vertritt die Werte der Gemeinschaft ernsthafter als diese selber, weshalb er von ihr nur toleriert, aber nicht als Ihresgleichen angesehen wird. Das verleiht diesem Western-Helden wiederum eine besondere Haltung. Es geht vor allem um das Überleben. Auch visuell wird die Figur Jon Snow den Helden in Filmwestern entsprechend in Szene gesetzt. Tyrill Lannister ist ebenfalls ein ‚outcast’. Er wird zu einer positiven handlungsführenden Figur, nachdem er dem Leben eines der dem Setting entsprechenden Version eines Dandys entsagt, eine monogame Beziehung pflegt und sich für die tradierten Werte der Gemeinschaft einsetzt.

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Abb. 6

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Abb. 7

Die facettenreiche Handlung ist sehr stark von archaischen wie martialischen Ereignissen geprägt. Frauen wie Männer werden von Männern und Frauen missbraucht, als Geiseln genommen, gefoltert und gemordet – dem Aspekt der Ausstellung von Gewalt in postmodernen filmischen Werken (10) und der in vorangegangenen Kapiteln bereits dargelegten Intention dessen entsprechend. Männer- und Frauenfiguren werden dramaturgisch gleichberechtigt und entsprechend der erzählten Geschichte gleichermaßen abhängig von Bindungen, sozialen Zwängen, familiären Abhängigkeiten oder Feindschaften gestaltet. In dieser Serie gibt es keine geschlechterspezifische Aufteilung in Gut oder Böse, in Sieger oder Verlierer. Männer beschützen oder bedrohen, misshandeln Frauen ebenso wie Frauen auch Männer beschützen, bedrohen oder misshandeln. Gehasst, gemordet und geliebt wird in jeder vorstellbaren Figuren-Konstellation.

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Abb. 8

Eine weitere der bewährten Möglichkeiten für eine dramaturgisch stabil und überzeugend gestaltete Handlung in einer komplexen und offen gestalteten Struktur wird auch für GAME OF THRONES genutzt – ein physisch konkreter Gegenstand repräsentiert das Zentrum des Begehrens, verbindet alle Handlungsstränge direkt oder auch indirekt. Der Thronsaal kann als Knotenpunkt der Handlung angesehen werden, auf den Thron als Gegenstand sind alle Handlungsstränge direkt oder indirekt gerichtet.

Zu Beginn der ersten Staffel werden zunächst Erzählkonventionen und Klischees bedient, wenn die männlichen Figuren als Repräsentanten der Macht eingeführt werden, zu denen die weibliche Figuren zunächst zweitrangig und in Abhängigkeitsverhältnissen gefangen wirken. Innerhalb weniger Folgen werden einige der Ehefrauen, Mütter und Töchter zu ebenbürtigen Charakteren entwickelt. Dies gilt für deren dramaturgische Relevanz ebenso wie für die über die Handlung erzählten Hierarchien. Frauenfiguren agieren als Antagonistinnen oder spiegelbildliche Heldenfiguren.

Jede der einzelnen Staffeln wird über eine horizontale Ebene gestaltet, die dieser eine gewisse Geschlossenheit gibt und gleichermaßen mit den anderen Staffeln verbindet. Vor- und Rückblenden verknüpfen die Staffeln untereinander. Gemäß tradierter Seriendramaturgie erhält jede Folge eine vertikale Handlung, die über einen Cliff-Hänger die nächste Folge vorbereitet. Auf Grund der vielfältigen Handlungsstränge verläuft die Zeit in der Serienhandlung überwiegend gerichtet, aber nicht in regelmäßigem Tempo. Der Rhythmus wird über die Choreographie der Figuren gegeben und folgt eher dramaturgischen Regeln als einer Illusion von Wirklichkeitserfahrung. Sehr wahrscheinlich wird am Ende der Serie eine gewisse Geschlossenheit erreicht, indem eine wie auch immer geartete hierarchische Ordnung mit klaren moralischen Normen errichtet werden wird – unter Umständen von der Frau, die sich über mehrere Staffeln darin geübt und trotz einiger Rückschläge bewährt hat.

Die Figur der Danaerys Tageryan wurde als die einzige verbliebene Nachfahrin einer sehr alten Herrscherfamilie eingeführt. Sie fungiert als spiegelbildliche positive Version der vorherigen Könige aus der Lannister-Familie. So könnte – dramaturgisch gesehen –, die bewährte Ordnung über eine, aus alter englischer Königsfamilie stammende Figur wieder hergestellt und das Land befriedet werden. Sehr wahrscheinlich ist das Figurenpaar Jon Snow / Arya Stark am Ende von Einfluss auf den Ausgang, völlig unabhängig davon, ob Jon Snow das Attentat am Ende der 5ten Staffel durch ein Wunder überlebt und gerettet wird, oder ob seine Komplementärfigur mit Hilfe des beide verbindenden Gegenstands zum Ausgang beitragen wird. Arya und Jon oder sie alleine, wie auch die Lannister-Brüder, könnten sich im Rahmen der dramaturgischen Möglichkeiten wieder begegnen. Unter Umständen wird im Zuge der Auflösung des Konflikts auch das Rätsel um die Herkunft von Jon Snow gelöst werden. Da dieses bereits zu Beginn der Serie prominent gesetzt wurde, kann es erst mit oder nach der Auflösung des Konflikts aufgedeckt werden, oder bleibt – wie in Henrik Ibsens „Rosmersholm“ – für immer der Phantasie des Publikums überlassen. Mit einer entsprechenden Auflösung würde eine gewisse Geschlossenheit in der offenen Form erreicht und Bögen geschlossen werden.

Die Serie ist insgesamt in einem durchkomponierten kontrapunktischen von Nord und Süd, Eis und Feuer, alter Ordnung und neuen Werten, Zivilisation und den „Wilden“ gehalten. Jon Snow ist als Westerner eine Mittelpunktfigur, der es wie keiner anderen in gleichem Maß gegeben ist, sich zwischen beiden Seiten zu bewegen. Was unter Umständen am Ende über seine Herkunft dramaturgisch unterfüttert werden könnte. Doch auch hier gibt es aus der Erfahrung mit den genutzten Mittel der Gestaltung und Dramaturgie keine Gewissheit.

Dramaturgie entwickelt sich mit den künstlerischen Möglichkeiten mit und lässt aus der langen und facettenreichen Tradition viele Varianten zur Versinnlichung eines Themas zu, so dass es keine berechenbare Lösung geben muss oder kann. Die Varianten, dramaturgische Regeln zu befolgen und kreativ zu kombinieren, sind vielfältig, so dass sich der Fortgang für eine nächste Staffel und die Lösung des Konflikts weder vorhersagen noch berechnen lässt.

Kerstin Stutterheim, Aug 2015

Dieser Text basiert auf dem entsprechenden Kapitel im ‚Handbuch Angewandter Dramaturgie‘: http://www.peterlang.com/detail/buch/75431/5/264138/ S. 373-381

Literaturverzeichnis:

BACHTIN, M. M., DEWEY, M. & FRANK, M. C. 2008. Chronotopos (1941), [Frankfurt am Main], Suhrkamp.

STUTTERHEIM, K. 2013. Überlegungen zur Ästhetik des postmodernen Films. In: STUTTERHEIM, K. & LANG, C. (eds.) „Come and play with us“. Marburg: Schüren.

STUTTERHEIM, K. 2015. Handbuch angewandter Dramaturgie. Vom Geheimnis des filmischen Erzählens, Frankfurt am Main u.a., Peter Lang Verlag.

[1] Siehe hierzu STUTTERHEIM, K. 2015. Handbuch angewandter Dramaturgie. Vom Geheimnis des filmischen Erzählens, Frankfurt am Main u.a., Peter Lang Verlag. S. 310-314; sowie STUTTERHEIM, K. 2013. Überlegungen zur Ästhetik des postmodernen Films. In: STUTTERHEIM, K. & LANG, C. (eds.) „Come and play with us“. Marburg: Schüren.

[1] Eine eigenständige Publikation über diese Serie ist in Vorbereitung

[1] MARTIN, G. R. R. & GILBERT, Y. 2006. The ice dragon, New York, Tom Doherty Associates, MARTIN, G. R. R., GARCIA, E. & ANTONSSON, L. 2014. The World of Ice & Fire : the untold history of Westeros and the Game of Thrones, New York, Bantam Books, MARTIN, G. R. R. 2012. A dance with dragons, New York, Bantam Books Trade Paperbacks, MARTIN, G. R. R. 2005. A feast for crows, New York, Bantam Books, MARTIN, G. R. R. 2000. A storm of swords, New York, Bantam Books, MARTIN, G. R. R. 1999. A clash of kings, New York, Bantam Books.

Fußnoten:

[1] STUTTERHEIM, K. 2015. Handbuch angewandter Dramaturgie. Vom Geheimnis des filmischen Erzählens, Frankfurt am Main u.a., Peter Lang Verlag., S. 134 f. – Ein Konflikt, der sich aus der visuellen Gestaltung ergibt, von Sergeij Eisenstein definiert.

[1] FRIEDRICH, A. (ed.) 2003. Filmgenres – Fantasy- und Märchenfilm, Stuttgart: Reclam., S. 9

[1] Ebd., S. 10

[1] Das für eine fiktionale Erzählung verdichtet gestaltete Verhältnis von Raum und Zeit (BACHTIN, M. M., DEWEY, M. & FRANK, M. C. 2008. Chronotopos (1941), [Frankfurt am Main], Suhrkamp.)

[1] Eine ausführlichere, detaillierte Analyse würde den Rahmen hier sprengen und wird ggf. später in anderem Kontext publiziert werden, wenn die Serie abgeschlossen ist. U.U. auf www.kino-glaz.de

[1] vgl. STUTTERHEIM, K. 2015. Handbuch angewandter Dramaturgie. Vom Geheimnis des filmischen Erzählens, Frankfurt am Main u.a., Peter Lang Verlag. S.82

[1] Vgl. auch STUTTERHEIM, K. 2013. Überlegungen zur Ästhetik des postmodernen Films. In: STUTTERHEIM, K. & LANG, C. (eds.) „Come and play with us“. Marburg: Schüren.


 
 
 

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