„Das Szenarium ist gegen alle Erkenntnisse der Filmdramaturgie geschrieben!“ Dramaturgie und Erzählästhetik in Filmen von Frauen – von Christine Lang

… Unter dem Titel Die Bilder der Frauen und die Herrschaft der Männererschien 1976 eine Ausgabe der Filmkritik, in der die erste weibliche Studierende an der Filmhochschule in München, Ingemo Engström, berichtet: „Ich fand mich wieder in den vollbesetzten vorderen Reihen bei den Genrefilmen der Männer: Filme von Hawks, Peckinpah, Fuller, Ford, Nicolas Ray. In meiner Produktionsgruppe in der Filmklasse war ich das einzige Mädchen. Wie begegne ich ihrem Misstrauen, wie setze ich meine Bilder durch?“[1] In dieser Frage kommt das Spannungsverhältnis zum Ausdruck, in dem sich die Filmemacherinnen der damaligen Zeit befanden. Und sie wird fast zur Gretchenfrage, die schon von Simone de Beauvoir formuliert wurde und die von Engström in der Filmkritik zitiert wird: „[…] sollen die Frauen die Männerwelt insgesamt ablehnen, oder sollen sie sich darin einen Platz erobern? Sollen sie das Werkzeug stehlen oder das Werkzeug verändern? Was sowohl die Wissenschaft wie die Sprache wie die Kunst betrifft. Alle Werte sind von der Männlichkeit geprägt. Muß man sie also vollkommen zurückweisen, versuchen, sie neu zu erfinden, bei Null wieder anfangen, radikal etwas anderes machen? Oder muß man sich diese Werte aneignen, sich ihrer bemächtigen, sich ihrer bedienen, zu weiblichen Zwecken?“[2]

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Die Filmemacherinnen der 1960er/70er Jahre waren auf der Suche nach eigenen Bildern, nach eigenen Themen und Inhalten, nach eigenen Darstellungsweisen. Und sie hatten ein künstlerisches Gespür dafür, dass die Anwendung bestimmter Erzählstrukturen eine bestimmte Auffassung von der Ordnung der Welt voraussetzt. Diese Ordnung spiegelt sich in ihrem Gebrauch der Sprache wie auch in den raumzeitlichen Beziehungen, die in einer Erzählung etabliert werden.

[1] Ingemo Engström: „Etwas über Schlussbilder und meine Liebe zum Kontinent“, in: Filmkritik, Nr. 3, Frankfurt am Main 1976, S. 132
[2] Zit. nach: ebd.

In: Herbst-Meßlinger, Rother: „Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen“ Berlinale Retrospektive 2019, Bertz & Fischer :: Mit Beiträgen von Maren Ade, Gabriele Dietze, Sherry Hormann, Heike Klippel, Christine Lang, Natalie Lettenewitsch, Lisa Miller, Eva Trobisch, Tatjana Turanskyj und Anke Zechner

Buchvorstellung 9.2.2018 @ Berlinale Retrospektive


 
 
 

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