Überlegungen zu Sport und Krimis im deutschen TV

Vorab ein paar Fakten:
– Fast 500 90-minütige Krimis sendet alleine das ZDF pro Jahr, dem gegenüber stehen fünfzehn 90-minütige Dokumentarfilme beziehungsweise dokumentarische Formate. Umgerechnet bedeutet dies: Das ZDF sendet pro Woche also 45 Stunden Krimis und 25 Minuten dokumentarische Produktionen.
– Im Jahr 2016 berichtete die Tagesschau 483 Minuten über Sport und 71 Minuten über Kultur.
– Insgesamt zeigen ARD und ZDF während der Spiele vom 9. bis 25. Februar in PyeongChang rund 230 Stunden Wintersport im öffentlich-rechtlichen, Gebühren finanzierten Fernsehen

Warum ist diese Aufstellung ausgewählte Fakten signifikant? Und in welcher Beziehung? Was ist so besonders an Sportübertragungen und Krimis, dass Entscheider in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten diese dem preiswerteren Programm vorziehen, das dem Auftrag, die Zuschauerinnen zu informieren, zu bilden, auch ästhetisch, mindestens ebenso gerecht werden würde?

Gerade läuft die Olympiade, die das Fernsehprogramm dominiert. Würde sie nicht in Asien ausgetragen werden, würde sie nicht das Vormittags- sondern Abendprogramm der öffentlich-rechtlichen Sender dominieren. Es läuft aber auch die Berlinale, eines der weltweit bedeutenden A-Festivals des Kinofilms mit Beiträgen und Besucher*innen aus aller Welt. Die Filme des Wettbewerbs wie viele der anderen Reihen sind Weltpremieren, Spitzenleistungen – um im Sportjargon zu bleiben. Davon sieht und hört man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen relativ wenig, dabei gibt es nur wenige Länder, in denen ein solches A-Festival, eine Olympiade oder World Championchips des Kinos, ausgetragen wird.

Mich interessiert, was darüber hinaus für viele so faszinierend sein mag, Sport zu schauen, Olympia zum Beispiel, – und kein großes Kino oder gar Dokumentarfilme? Und gibt es überhaupt einen Grund, darüber genauer nachzudenken? Da ist zunächst die Frage nach Geld und Budgets. Olympia wie Fussball sind vor allem wirtschaftliche Events. Viele Menschen und Firmen verdienen daran, nicht unbedingt die Sportlerinnen selber. Die Spiele in PyeongChang kosten Südkorea 8,3 Milliarden Euro. Alleine für das Rechtepaket, das die Übertragung der Olympischen Winter- und Sommerspiele in Fernsehen, Internet und Radio von 2018 bis 2024 umfasst, zahlen ARD und ZDF 221 Millionen Euro – nicht an Südkorea, sondern das IOC. Die Kosten für die Übertragung aus PengChang belaufen sich auf eine nicht näher bezifferte zweiteilige Millionen Euro Summe.  Die Olympia-Übertragung wird auch als ‚das teuerste Nischen-Programm‘ bezeichnet. (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/tv-kritik/olympia-uebertragung-von-zdf-ard-teuerstes-nischenprogramm-14377065.html)

In den großen Wettkämpfen sieht man die besten Sportler*innen im Wettkampf. Doch wer sind diese? Sie repräsentieren ihr Land, den Sport, der ihren Lebensinhalt darstellt, eine Region. Auch physische und psychische Stärke. Allerdings, und auch das wird selten erwähnt, hatten diese Sportlerinnen gerade Glück in der richtigen Region zu wohnen und rechtzeitig entdeckt und gefördert zu werden. Hier gibt es eine Parallele zur Kunst und zum Film. Oft sind es Glücks- und Zufälle, die einem den Weg eröffnen, das eigene Talent zu entdecken und zu entfalten. Doch Kunst ist insgesamt weniger teuer als Sport.

Viele Menschen schauen sich die wichtigen Austragungen der Olympischen Spiele an – je nach Zeit, die man als Zuschauer*in so haben mag. Sie sind fasziniert und emotional begeistert von den Darbietungen ebenso wie den kleinen Geschichten über die Sportler*innen und diverse Beteiligte.
Faszinierend mag zunächst und grundsätzlich der Sport sein, den man vielleicht gerne auch selber mal ausgeübt hätte oder den man als Amateur tatsächlich in seiner Freizeit ausübt oder trainiert hatte. Sofort sind Glück und Enttäuschung erkennbar. Auch wenn die Sportler*innen sichtlich mediengeschult sind und wissen, wie sie selbst nach dem Wettkampf, der über den weiteren Verlauf ihres professionellen Lebens entscheiden mag, noch eloquent Interviews geben. Wenn eine Sportler*in dann nach mehreren in extremen Wetterverhältnissen hintereinander ausgetragenen und gewonnenen Wettkämpfen der Einladung ins warme Studio nicht folgt, sondern sich ausruhen möchte, macht man sich gleich Sorgen um ihre Gesundheit. Dies sind alles Aspekte des Vertrauten, das nahe am eigenen Alltag und dennoch großer ist. Dies entspricht einem schönen Vergleich, den einer der großen Drehbuchautoren, Frank Cotrell Boyce, einmal getroffen hat: Im Fernsehen sieht man Nachbar*innen wie Du und ich – im Kino sieht man Menschen, die man entweder unbedingt einmal oder nie im Leben sein möchte. (original in: Allstair: Story and Character, 2003, p108) Olympia-Übertragungen überbrücken quasi den Gegensatz, der hier formuliert wurde. Die Sportler*innen wirken wie Du und ich, dennoch tun sie Dinge, die man gerne einmal auch erreichen würde, von denen man aber weiß, dass man es nie schaffen würde – als sportinteressierte Fernsehenschauer*in.

Doch es geht um mehr.

Oft werden große Wettkämpfe in schönen Gegenden ausgetragen, von denen man ein wenig zu sehen bekommt. Und: Sport hat klare Regeln. Und, man sieht den Sportler*innen und ihren Leistungen an, wie gut sie sind. Die Regeln kann man verstehen, es gibt Kommentator*innen, die diese erklären, man sieht die Leistung im Moment. Noch dazu gibt es Schiedsrichter*innen oder eine Jury, Punktrichter*innen oder ähnlich kompetente Personen, die in der Situation die Leistung bewerten und so das eigene Empfinden bestätigen. Alles findet innerhalb eines klaren Systems statt. Daran kann man sich orientieren und ist nicht auf das eigene Urteil geworfen, noch wird die eigene Sozialisierung und der sich daraus entwickelt habende Geschmack in Frage gestellt oder Wissen abgerufen, das einem unter Umständen nie vermittelt wurde – wie es in dem Tatort ‚Meta’ zur Berlinale (rbb, 18.02.2018) zum Beispiel der Fall war, der gleichzeitig alle Vorbehalte gegenüber dem Filmbetrieb bestätigt oder diese erst etabliert haben mag. Im Filmbetrieb geht es eben nicht nach klaren Regeln zu und Filmemacher leben alles andere als gesund. Ein Milieu, mit dem man sich nicht gerne identifizieren möchte. Doch dies weiter zu erörtern, würde hier vom Weg abführen.

Während der Übertragungen von Olympia und ähnlichen Veranstaltungen werden vor und nach den Wettkämpfen die Sportler*innen vorgestellt, deren Trainer*innen auch, gelegentlich auch die Familie. Es wird erzählt, wie hart sie arbeiten, worauf sie hoffen und wie sie mit Enttäuschungen umgehen. Auch von dem System, in dem sich die Sportlerinnen bewegen und das sie nie in Frage stellen, wird erzählt: von den Trainer*innen, die sie befördern, aber ihnen auch Grenzen setzen und sie bewerten. Darüber stehen dann die Medienvertreter*innen, die sich ein Urteil erlauben können, das zwischen Kompetenz, Vorlieben und auch Geschmack chargiert. Die Medienvertreter*innen sind einem vertraut, weil sie auch schon andere Wettkämpfe kommentiert haben, oder von anderen Nachrichten- oder Magazinsendungen, sie sind schon fast Familienmitglieder oder zumindest wie die Bekannten aus der Nachbarschaft einem nahe.

Dies unterscheidet sich von künstlerischen Werken aller Art – sei es der grosse Kinofilm oder ein gut gemachter, poetischer oder kreativer Dokumentarfilm. Dem fertigen Film sieht man die Arbeit nicht mehr an. Diese wirken insbesondere dann als gelungene Werke, wenn die Arbeit all der vielen Beteiligten hinter dem Werk verschwindt udn mand avon nichts mehr sieht oder ahnt. Und, im Filmschaffen gibt keine Punktrichter*innen, die einem die Sicherheit geben, ob das jetzt gut war und man seinem eigenen Urteil trauen darf oder nicht. Weder Regisseur*innen noch Autor*innen oder andere Beteiligte reden darüber, wie schwer oder auch einfach wunderbar es war, bis dahin zu kommen – denn, würden sie über die zu überwindenden Probleme reden, wird ihnen abgesprochen, dass es gut war, was sie getan haben. Dann beginnen die Medienvertreter*innen nach Anzeichen oder Folgen der gelösten Probelme im Werk zu suchen, über deren Auswirkungen auf das Werk nachzudenken und die Qualität in Frage zu stellen. Stürze von Schauspieler*innen sind für die Öffentlichkeit eher aus Versicherungssicht interessant, und nur, wenn es sich um große Stars handelt; als dass dies vom körperlichen Einsatz erzählt, der notwendig ist, sich eine Rolle zu erarbeiten. Stürze im Sport sind hochdramatische Ereignisse, vergleichbar mit dramaturgischen Wendepunkten in einer Erzählung. Ebenso Fehler, die eine sicher geglaubte Medaille gefährden. Dies wird wieder und wieder gezeigt oder erwähnt. So, wie zum Beispiel der Fehler in Kurve neun für einen ‚unserer‘ Medaillenanwärter häufiger erwähnt wurde als der überraschende Bronze-Sieg eines ‚unserer‘ Fahrer des gleichen Rennens, mit dessen Erfolg keiner gerechnet hat. Katastrophen des Helden sind dramatisch stärker als das Happy End einer Nebenfigur, um es in dramaturgischen Mustern zu denken.
Berichte über Hürden und Rückschläge würden einem Film als Produkt jahrelanger Arbeit seine künstlerische Wirkung nehmen. Wenn man eine Geschichte in einen Film gießt, möchte man, dass das Publikum sich der Geschichte zuwendet und nicht dem Prozess. Dies bedeutet aber auch, dass die Macher*innen hinter ihrem Werk so unsichtbar wie möglich werden oder alles, was sie öffentlich äußern, im Sinne des Werkes ausrichten. Erzählen sie jedoch dennoch von ihrer Arbeit, meist auf Sendeplätzen spät in der Nacht, dann sprechen sie über Prozesse, die nur wenigen bekannt sind. Es gibt in Deutschland keine breite Medienbildung, filmisches Arbeiten ist nicht Teil der  Schulbildung (wie in vielen anderen Ländern dieser Welt), und daher weiß kaum jemand, wie viel Arbeit nicht nur in einem Spiel- sondern auch einem Dokumentarfilm steckt.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt, warum Sportwettkämpfe so interessant für das Fernsehprogramm sind: man sieht ‘die eigenen’ Leute. Es trifft sich die Welt, aber dieses Aufeinandertreffen ist schön übersichtlich in Nationen aufgegliedert. Jede Nation trägt ihre Farben, Fahnen begleiten unseren Blick auf die Ereignisse. ’Unsere’ werden von den Berichterstattern insbesondere in den Blick genommen und genauer vorgestellt. Je nach Sportart kann die nationale Verwandtschaft auch auf Europa oder die Westliche Welt erweitert werden. Oder man fiebert mit denen mit, die im Erscheinungbild unseren Idealvorstellung am nächsten kommen. Es geht um Identifikation und Heldentum. Sportwettkämpfe haben etwas von der geschlossenen Dramaturgie im dramatischen Erzählen. Sport entspricht Krieg führen ohne Waffen, das ist altbekannt, kann aber hier vielleicht noch einmal wiederholt werden.

Was hat das nun mit den Krimis zu tun, die das Fernsehen vergleichbar exzessiv produziert und zeigt? Warum sind diese entsprechend der Sportwettkämpfe so beliebt beim Publikum oder vor allem den Redakteuren und Programmentscheidenden. Und das gilt insbesondere für Reihen und Serien. Und warum setze ich diese hier in Beziehung zueinander?
Hier gibt es tatsächlich eine Beziehung zum Sport – Kommissare, Detektive, Ermittlerinnen sind körperlich fit, sie können super gut rennen und Zäune, Mauern, Hindernisse aller Art überwinden. Sie können auch in jeder Situation und bei jedem Wetter entspannt und fehlerfrei Auto fahren und selbstverständlich auch schießen. Gezeigt werden Charaktere, die sind darauf trainiert sind sich fokussiert zu verhalten, die meistens belastbar wirken, selbst wenn sie einen Kater haben oder Familiendinge aus der Balance zu rutschen drohen, und das jeden Tag/ jede Folge aufs Neue. Ihnen gegenüber stehen die ‚einfachen Leute‘, Menschen, wie sie in unserer Nachbarschaft leben könnten, was aber zum Glück fast nie der Fall ist.
Die Opfer, um die es geht, leben oder lebten in widrigen Zuständen, in einer Gesellschaft, die uns vertraut und fremd zugleich ist. Der Zuschauerin geht es im Allgemeinen besser als denen, die vom Verbrechen betroffen sind, schon alleine aus dem einfachen Grund, dass man noch am Leben ist und auch nicht verdächtigt wird, einen Mord begangen zu haben.

In den TV-Krimis sieht man einem anderen Wettbewerb zu. Dem, entweder gegen die Zeit das Schlimmste oder mehr Schlimmes zu verhindern, einen Fall zu lösen, und die Utopie vom ungestörten Alltag wieder herzustellen. Sie kämpfen gegen die Zeit, gegen falsches Spiel, Lügen und Gewalt. Es gibt ebenfalls klare Regeln, an denen sich nicht nur die Figuren orientieren – die der Normen des zivilen Zusammenlebens, sondern auch Autorinnen und Regie – dramaturgische oder Formatvorgaben.

Am Ende wird es nach heldenhaftem Einsatz, nach Bündelung aller Kräfte und guter Teamarbeit gelungen sein, die Täter*in zu überführen. Man hat es ins Ziel geschafft und die Normen der Gemeinschaft sind fürs erste bestätigt und bewahrt. Die institutionelle Ordnung wird bestätigt sein.

In einer Gesellschaft, in der immer mehr auf Messbarkeit und Vergleichbarkeit gesetzt wird, sind Sport und Krimis die idealen Programme. Sie geben Orientierung und zeigen Ausnahmeereignisse, die dennoch im Verhältnis zur eigenen Alltagserfahrung stehen. Hierarchien werden bestätigt und nicht hinterfragt. Verhaltensmuster, die das Moment der Vertrautheit und Stabilität bestätigen, stehen hier im Zentrum. Dabei sind Abstufungen in Bezug auf die Produktionsländer der Krimis und somit der verorteten Geschichten zu beachten. Deutsche Krimis bestätigen die Sicherheit, die der Staat und somit seine bestellten Vertreter geben – im Allgemeinen. Tatorte, in denen der eine oder die andere Kommissarin sich eher wie ein amerikanischer Detective verhält, irritieren das Publikum – zu Recht. Denn in den US Produktionen steht der Polizeidienst nicht gleichermaßen für Sicherheit und Geborgenheit. Für den Schutz ziviler Grundwerte ja, aber eher im Sinne von Vergeltung als für Geborgenheit. Skandinavische Produktionen sind die Produktionen, die am näherten an der Kinoästhetik sind – hier sehen wir Menschen, die wir unbedingt einmal sein würden und solche, die man nie sein wollte. Die Kontraste zwischen den Kommissarinnen, die oft als sehr moderne, gegenwärtige Menschen gezeichneten sind, und den Verbrechern ist extremer als in den deutschen Produktionen aber näher an unserer Wirklichkeit als die der US-Produktionen.

Beim Sport hingegen gibt es diese kulturellen Feinheiten nicht. Hier gelten für alle die gleichen Regeln. Der Unterschied besteht eher darin, welche Nation in welchen Disziplinen stärker vertreten ist oder bessere Trainingsbedingungen hat und somit in der Medaillenwertung führend sein kann.


 
 
 

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