Eine Erinnerung an die Bauhaus-Fotografin Etel Fodor-Mittag – von Kerstin Stutterheim

Ende der 1990er Jahre drehten Niels Bolbrinker und ich einen längeren Film über das Bauhaus, seine Geschichte und seine Menschen. Dafür besuchten wir ehemalige Studierende, die quer durch die Gewerke und die Geschichte das Bauhaus erlebt und geprägt haben. Selbstverständlich lag uns daran, auch Bauhaus-Frauen von ihren Erinnerungen erzählen zu lassen.

So ergab es sich, dass wir mit einer Adresse und verfügbaren Informationen ausgestattet, eines Nachmittags an der Tür eines blauen Hauses in Wynberg, einem Vorort Cape Towns klingelten. Eine ältere, kleine, drahtige und dynamisch wirkende Frau öffnete uns die Tür – Etel Fodor-Mittag. In den darauf folgenden Tagen erzählte sie uns immer wieder für ein paar Stunden von ihrem Leben, ihrer Zeit am Bauhaus, aber auch von der Zeit nach ihrer Emigration, von ihrem Leben in Südafrika.

Wir drehten noch auf Film und es gibt einen Grund, dies hier explizit zu erwähnen. Denn die technischen Gegebenheiten brachten es mit sich, dass uns nur eine dem Budget entsprechend knapp kalkulierte Menge Aufnahmematerial zur Verfügung stand. Auch die Zeit unseres Aufenthaltes war bereits vor der Reise sehr straff durchgeplant, denn die Miete des Equipments pro Tag stellte einen erheblichen Kostenfaktor dar. Zurückschauend habe ich es immer bedauert, dass wir nicht mehr Zeit und Material in die Begegnung und das Interview mit Etel Fodor-Mittag investieren konnten und ich später nie die Gelegenheit hatte, erneut nach Südafrika zu reisen und dieses Gespräch fortzusetzen.

Insbesondere diese Begegnung mit Etel Fodor-Mittag hat mich sehr beeindruckt und letztendlich zu dem vorliegenden Buch geführt. Denn zur Beantwortung auf eine unserer Fragen holte Etel Fodor-Mittag ein Manuskript hervor, einen maschinengetippten autobiographischen Text, und las einige Seiten daraus vor. In diesem Abschnitt schilderte sie Ereignisse am Bauhaus aus der Zeit zwischen 1928 und 1930, die uns so bisher wenig bekannt waren.

Dankenswerterweise haben ihre Söhne Michael und Tom Mittag diese Lebenserinnerung dem Bauhaus-Archiv anvertraut, so dass es nun möglich ist, diesen Text in der Reihe „Dokumente aus dem Bauhaus-Archiv Berlin“ herauszugeben, einige ihrer überlieferten Fotografien zu publizieren und dies mit der Audiodatei des Interviews, das wir damals führten, zu ergänzen.

Die Lebenserinnerungen von Etel Fodor-Mittag richten sich an ihre Enkelkinder. Doch sind diese Aufzeichnungen mehr als ein familiärer Brief. Sie sind für alle Enkelkinder von Interesse.

Der diesen Text tragende Gestus der Offenheit, eines Fortschrittsglaubens und die damit einhergehende Hoffnung, etwas anzustoßen, um die Welt zu einem besseren, lebenswerteren Ort zu machen. Diese Haltung habe ich bei fast allen Bauhäusler_innen erlebt, die ich noch kennenlernen durfte.

Aus dieser Begegnung ist mir Etel Fodor-Mittag als eine dynamische Frau mit schelmischem Witz in Erinnerung geblieben. Sie hat uns auch vermittelt, dass ihr durchaus bewusst war, dass sie eine Künstlerin ist, die ihren Beitrag geleistet hat, und die es wert ist, erinnert zu werden.

Zu dieser Zeit webte sie, sowohl zu Hause als auch als ehrenamtliche Betreuerin der Webereiwerkstatt einer jüdischen Einrichtung für geistig behinderte Menschen. In ihrem Haus zeigte sie uns eine Tagesdecke, die sie „Tribute to Albers“[1] nannte. Als sie diese webte, habe sie „an Albers und seine Vierecke gedacht“, sagte sie. Obwohl sie sich zur Weberei immer hingezogen fühlte, wie sie in ihrem autobiographischen Text schreibt, wählte sie im Studium am Bauhaus eine andere Werkstatt. Sie entschied sich gegen die Weberei, weil dort nur Frauen waren; aber auch, weil sie zuvor an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien bereits Lithografie und Drucktechniken gelernt hatte. An der Akademie in Wien war sie im ersten Semester in der Abteilung Fotografie eingeschrieben, die weiteren Semester in der Abteilung Gebrauchsgrafik. Während des Studiums in Wien waren ihre großen Vorbilder Käthe Kollwitz und Honoré Daumier, wie sie schreibt. Sie interessierte sich für klassische Musik, den Film, das moderne Theater. Etel Fodor hatte eine zu dieser Zeit angestrebte bildungsbürgerliche Ausbildung genossen, sich aber auch für viele Künstler der Moderne, wie Käthe Kollwitz und Oscar Kokoschka oder Max Reinhardt und sein Theater interessiert. Sie lebte somit auf der Schnittstelle von Klassik und Moderne.

Stoffe und Texturen begleiteten sie Zeit ihres Lebens. Bereits als junges Mädchen entwarf sie für ihre Mutter Stickmuster, während des Studiums in Wien gewann sie einen Wettbewerb für Stoffmuster und konnte sich mit dem Preisgeld einen mehrwöchigen Studienaufenthalt in Rom leisten. Nach dem Abschluss in Wien wurde ihr eine Stelle als Designerin in einer Kleiderfabrik in Budapest angeboten, die sie ablehnte. Sie wollte mehr als Zeit ihres Lebens in einer Entwurfsabteilung zu arbeiten. Ihr lag daran ihr künstlerisches Talent noch besser auszubilden. Ursprünglich plante sie an die Akademie für Grafik und Buchkunst in Leipzig zu gehen, wurde aber durch einen Zufall, kurz vor Semesterbeginn, auf das Bauhaus aufmerksam gemacht. Dort absolvierte sie den Vorkurs, ging zunächst – auch gegen spürbaren Wiederstand – als einzige Frau ihres Jahrgangs in die Druckerei-Werkstatt. Später wechselte sie in die Fotografie-Werkstatt, die von Walter Peterhans geleitet wurde.

Am Bauhaus Dessau wurde das in der Photographie-Werkstatt entstandenen „Stoffe“-Foto für Werbung in einem IG-Farben-Magazin ausgewählt. Nach einem Eklat mit Walter Peterhans, dem diese Werkstatt leitenden Meister, verließ sie das Bauhaus. Sie hielt sich anschließend mit Foto-Aufträgen über Wasser, wurde aber auch finanziell von ihren Eltern unterstützt. Sie fotografierte in Berlin Modenschauen, Generalproben für Premierenankündigungen, Hunde-Schönheitswettbewerbe; und spezialisierte sich dann auf Architekturfotografie, wie sie schreibt. In Pécs erhielt sie Aufträge für Kinderporträts und Fotos von Möbeln und Innenarchitektur. Regelmäßig realisierte sie gemeinsam mit Willi Jungmittag Fotoreportagen für die A.I.Z.. 1932 reiste Etel Fodor-Mittag nach Moskau, um dort die Gruppe um Hannes Meyer zu besuchen und ebenfalls für die A.I.Z. zu fotografieren.

In ihren Lebenserinnerungen betont Etel Fodor-Mittag mehrfach, dass ihr ausgeprägtes Gefühl für Stoffe und Texturen ihr in der Fotografie sehr zugute kam. Mir bekannte Fotographien von Etel Fodor-Mittag zeichnen sich durch ihre Strukturen und durch eine konzentrierte Durchgestaltung der Bildfläche aus. Ihre Bilder wirken wie eine Textur, welche die Fläche in einer dynamischen und zugleich rhythmisierten Gestaltung strukturiert. So zum Beispiel in dem Foto der Kommilitonen beim Fotografieren im Freien[2], das über verschiedene Diagonalen geführt wird – die Arme der beiden Personen im Vordergrund bilden eine Linie, ihre Köpfe eine zweite, der angewinkelte Arm kontrastiert die mit einer gegenläufigen Diagonale, und die Äste der Bäume über den Köpfen bilden eine zart durchgezeichnete Fläche, deren Abschluss eine weitere Diagonale bildet. In ihrem Porträt von Ricarda Schwerin, das vor allem von dem fließenden blonden Haar dominiert ist, dessen Schwung sich über die Schulterpartie fortsetzt und im Kontrast steht zu dem abgeschatteten Gesicht, wird der Rhythmus durch die Hell-Dunkel-Struktur des Hintergrundes aufgegriffen und unterstützt. Das küssende Paa[3] verschmilzt vor allem über die Flächen unterschiedlicher Helligkeit zu einem Paar, bildet eine Struktur und gibt ihm gleichzeitig eine Dynamik – auch hier verbinden sich die Kanten der Arme und der Körper jeweils zu einer Struktur. Der Gestus des Zueinandergehörens bestimmt die Qualität des Bildes und vermeidet jeglichen voyeuristischen Blick. In der Konzentration des Blickes, der Klarheit und Konsequenz in der Linienführung liegt die Qualität der Fotografien von Etel Fodor-Mittag. Einigen Bildern kann man zudem ihren Humor ablesen, wie zum Beispiel in der Arbeit aus dem Vorkurs, in der sie die Spielzeugpistole den Zucker in die Teetasse schießen läßt[4], oder wenn sie die Kommilitonen „das erste Mal betrunken“[5] fotografiert.

Man könnte alle ihre Fotografien auch weben, sie gestaltet immer die gesamte Fläche des Bildes durch. Sie nutzt hell-dunkel-Kontraste und flächige Bereiche, so diese überhaupt Platz finden, für die Rhythmisierung der Bilder. Darüber hinaus findet man immer eine interessante Austarierung von Diagonalen, die sie meist auch kontrastierend in ein Verhältnis setzt.

Das Bewusstsein um ihre künstlerischen Fähigkeiten und die Qualität ihrer Fotographien vermittelte sie uns auch während unseres kurzen Besuches als wir gemeinsam eines ihrer Alben durchsahen, das einen Querschnitt ihres Schaffens dokumentierte.

Darüber hinaus sind wohl einige ihrer Arbeiten, nicht nur der Fotografien, aus der Zeit vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten für immer verloren. Sie und ihr Ehemann Ernst Mittag hatten ab Februar 1933 den antifaschistischen Untergrund unterstützt, mussten die Wohnung wechseln und lebten zwischen 1933 und 1937 immer wieder in Angst vor der Entdeckung und Verhaftung, wie sie schreibt. Zusätzlich war Etel Fodor-Mittag wegen ihrer jüdischen Vorfahren im „Dritten Reich“ zur unerwünschten Person erklärt und ihrer Arbeitsmöglichkeit in Deutschland beraubt worden. Aus diesem Grund hatte ihr Mann Ernst Mittag einen Koffer mit ihren wichtigsten Arbeiten und Büchern bei einem seiner Brüder untergestellt, zur Aufbewahrung. Leider wandelte sich dessen Ehefrau zu einer überzeugten Nationalsozialistin und hatte diesen Koffer mit den Arbeiten eines Kommunisten und einer Jüdin in der Elbe versenkt. Andere Arbeiten Etel Fodor-Mittags sind wahrscheinlich mit ihrer Kamera und dem Dunkelkammer-Equipment bei der Verhaftung von Walde Alder 1933 konfisziert worden. Sie hatte mit diesem gemeinsam in dessen Wohnung gearbeitet. Als Alder verhaftet wurde, waren Ernst und sie gerade bei ihren Eltern in Pécs. Sie erhielten einen Anruf aus Berlin, mit dem sie gewarnt wurden, dass sie lieber nicht so bald nach Berlin zurückzukehren sollten, wo auch sie von einer Verhaftung bedroht gewesen wären. Später entspannte sich die Lage und vor allem Ernst Mittag konnte zunächst nach Deutschland zurückkehren. Die Bauvorhaben der Nationalsozialisten bescherten den Architekten und Bauleitern Arbeitsmöglichkeiten, so auch Ernst Mittag.

Viele der Weggefährten und Freunde Etel Fodor-Mittags waren jüdischer Herkunft, viele der gemeinsamen Freunde von Ernst und Etels Mittag waren Linke, Kommunisten und Antifaschisten, wie Walde Alder und Willi Jungmittag oder Ricarda Meltzer. Manche waren sowohl jüdischer Herkunft als auch linke Antifaschisten, wie Heinz Schwerin. Von ihrer engsten Freundin aus der Zeit in Europa, Else Rawitzer, verliert sich nach 1938 jede Spur, vermutlich wurde sie wie Otti Berger, eine andere Freundin Etel Fodor-Mittags, deportiert und ermordet; Willie Jungmittag wurde 1944 wegen Hochverrats verhaftet und ermordet; Lotte Rothschild wurde im KZ Auschwitz ermordet, ebenso wurden nahezu alle Freunde und Bekannte Etel Fodor-Mittags aus Pécs deportiert und in Konzentrationslagern ermordet. Dies verringert die Chance, noch Materialien oder Arbeiten zu entdecken, die den vorliegenden Nachlass ergänzen könnten.

Vielleicht verhilft noch der eine oder andere Glücksfall zur Entdeckung eines der Fotos, das Etel Fodor-Mittag an die von ihr nicht benannte Presseagentur, vermutlich Dephoto und die Agentur Lotte Jakobi, wie nicht genau bezeichnete Verlage verkauft hat. Nur noch wenige der Agenturen, kaum einer der Verlage aus dieser Zeit existieren noch, viele Unterlagen und Magazine sind dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen.

Wegen dieser zeithistorischen Ereignisse ist nicht nur der Nachlass Etel Fodor-Mittags und ihres Mannes Ernst Mittag reduziert. Auch Werke und Briefe, die sie mit ihren Freundinnen ausgetauscht haben mag, stehen für die Erforschung von Erlebnissen und Erfahrungen am Bauhaus als Zeitzeugnisse nur in geringem Maße zur Verfügung. Es gibt bis heute noch einige ungehobene Nachlässe der in alle Welt verstreuten Bauhäusler_innen, die sicher den Blick und die Erkenntnisse über das Bauhaus als eine der interessantesten Kunsthochschulen ergänzen können.

Der hier vorliegende Text Etel Fodor-Mittags, der weit über die Zeit am Bauhaus hinaus geht, setzt einerseits die Kenntnis bestimmter Werke und Personen voraus, andererseits waren ihr bestimmte Aspekte nicht im Detail wichtig. Es handelt sich um eine Erzählung ihres Leben, eine biographische Erzählung, um kein wissenschaftliches Dokument. So finden sich auch gelegentliche Ungenauigkeiten in der Erinnerung. In der Zeit, zu der dieser Text verfasst wurde, gab es noch keine Internet-Recherche, kein World-Wide-Web. Sie konnte nur auf ihre Erinnerung und die von ihrem Mann Ernst bauen. Mit dem in der Nähe wohnenden Pius Pahl verband das Paar keine Freundschaft, auf Grund von Ereignisse der letzten Jahre am Bauhaus. In der Übersetzung habe ich mich bemüht, möglichst nah am Original zu bleiben. Daher wurden auch kleine Fehler nicht korrigiert, es sind für die heutige Zeit vielleicht weniger geläufige Formulierungen und Begriffe so weit es ging übernommen beziehungsweise entsprechend übersetzt worden. Ebenfalls habe ich sehr oft den Rhythmus ihrer Sätze beibehalten, in der sie eine Information mit der nächsten und der darauffolgenden ergänzt – so wie man am Webstuhl erst die vertikalen Basisfäden spannt, dann das Werk aufbaut, Linie für Linie, Schuss für Schuss. Aus welchem Grund auch immer nennt sie ihre männlichen Freund und Kommilitonen oft „Kerle“ oder „Typen“, diese Formulierung wurde beibehalten. Ebenso erhalten sind heute vielleicht wenig politisch-korrekte Formulierungen, die man aber einer Frau, die selber aus rassistischen Gründen diskriminiert und sich lange Jahre ihres Lebens in der Anti-Apartheit-Bewegung engagiert hat, kaum vorwerfen. Der Sprachgebrauch hat sich geändert. Viele Verweise in ihrem Text wurden mit Informationen versehen, einige Künstler, wie Van Gogh oder Rembrandt, die nicht nur als Künstler weltbekannt sind, in den meisten Schulen vorgestellt werden und bereits einen popkulturellen Status erlangt haben, werden nicht noch erläutert.

Doch trotz gelegentlicher Sprünge und Ungenauigkeiten in einigen wenigen Details oder Bezeichnungen ist der Text von großem Wert, denn Etel Fodor-Mittag vermittelt uns Innensichten in die Gepflogenheiten der Zeit, erzählt von Sitten und Gebräuchen, die ebenfalls mit der Katastrophe des II. Weltkrieges und den verschiedenen Versuchen von Überwindung und Neuordnung weitestgehend verschwunden sind.

Selbstverständlich sind insbesondere ihre Erinnerungen an die Zeit am Bauhaus hier von großem Interesse. Diese legen erhellende Splitter der Zeit zwischen 1928 und 1931 frei. Oft setzt Etel Fodor-Mittag auch hier eine gewisse Kenntnis voraus oder hält eine detaillierte Schilderung nicht für relevant. Dennoch berichtet sie von – zumindest mir bis dato weniger bekannten – Ereignissen, die durch die Erstarkung der nationalsozialistischen Partei in Thüringen und Sachsen-Anhalt ausgelöst wurden. Sie erzählt auch von dem engen Kontakt mit den Arbeitern und insbesondere den Gewerkschaftlern in Ziebig, der Wohnsiedlung nahe dem Bauhaus. Eine große Gruppe der Studierenden am Bauhaus hat sich mit diesen gemeinsam aktiv gegen die frühen Nazi-Propagandisten und deren Schläger-Trupps zur Wehr gesetzt.

Ergänzt werden diese überlieferten Erinnerungen durch ihre Schilderungen in unserem Interview. In diesem verweist sie noch einmal kurz auf die soziale und der damit verbundenen sexuellen Freiheit am Bauhaus, die den Dessauern suspekt war. Sie hat diese einerseits als Befreiung empfunden und andererseits als Verletzung erlebt. Sie erzählt von der Armut einiger Studierender und von der Gemeinschaft des Teilens. Sie schildert die Bedeutung von Hannes Meyer als Direktor und als Mensch, der von den linken Studierenden sehr geschätzt wurde, die damals eine große Gruppe darstellten.

Sie berichtet vom Vorkurs, von fröhlichen Festen ebenso wie von der Bedrohung durch die Nazis, aber auch von ihrem Leben in Südafrika. Uns erzählte sie damals, dass sie, als sie dort ankam, von dem System der Apartheit, wodurch Menschen nach ihrer Hautfarbe beurteilt und ausgegrenzt wurden, zunächst vollkommen geschockt war. Sie wäre am liebsten sofort wieder abgereist, hatte dafür aber weder Geld noch einen Ort, an den sie hätte reisen können.

Etel Fodor-Mittag beschreibt in ihren Erinnerungen die erzkonservativen Rollenmuster und sozialen Schranken, auf die sie nach ihrer Ankunft im Südafrika geworfen war, erwähnt üble Nachrede und deutet die Schwierigkeiten an, weiter als Fotografin zu arbeiten. Der erste Einbruch ihrer Tätigkeit als Fotografin ereilte sie mit dem Kriegsausbruch, durch den die Fotomaterialien kontingentiert wurden und nur noch an eingetragene Firmen abgegeben wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie gerade die Architekturfotografie wieder aufgenommen, die – wie sie schreibt – in Südafrika damals noch völlig unbekannt war. Daneben konnte sie mit Kinderporträts etwas Geld verdienen. Durch den Mangel an fotografischen Materialien war ihr diese Einnahmequelle und vor allem die Fortsetzung ihres Berufs als Fotografin für einige Jahre versagt. Wegen anhaltenden Geldmangels sah sich noch dazu gezwungen, ihre Dunkelkammerausrüstung zu verkaufen. Das war, wie sie schreibt, der Anfang vom Ende ihrer Karriere als Fotografin. Ganz aufgegeben hat sie die Fotografie mit dem Aufkommen von Polaroid. Dann begann Ernst zu fotografieren und mit ihm wollte sie nie in Konkurrenz stehen. Sie fand, dass es nicht gut sei, wenn beide Ehepartner das gleiche tun. Also wandte sie sich der Weberei zu. Zuvor hatte sie schon – vor allem wegen der Knappheit in den Jahren des Krieges – nähen gelernt.

Da sich Etel und Ernst Mittag weiter politisch engagiert haben, in der Anti-Apartheit-Bewegung, war das Leben in Südafrika für sie oft nicht einfach. Ernst war weiterhin Mitglied der Kommunistischen Partei. Sie wurden denunziert und öffentlich verurteilt, wodurch er auch Aufträge einbüßte. Wie Etel Fodor-Mittag sich erinnert, stand Ernst Mittag einige Zeit auf einer „schwarzen Liste“. Beide hatten über Jahre Reiseverbot, erhielten keine Visa. Besonders getroffen hatte sie, dass es ihr nicht erlaubt worden war, ihre hochbetagte Mutter auch auf eine lange Reise zu ihrem Bruder nach Kanada zu begleiten beziehungsweise sie dort abzuholen.

Es mag Etel Fodor-Mittag in Bezug auf ihre schriftlich festgehaltenen Erinnerungen wie in ihren Fotografien um die Abstraktion, um den Gestus gegangen sein. Vermutlich war es ihr vorrangig ein Anliegen, Prozesse verstehbar zu machen und eine Entwicklung zu verdeutlichen; die Momente in ihrem Leben darzustellen, die etwas bedeutet haben, zu etwas geführt haben. Im Sinne der Dialektik, in der sie sich in den Jahren des Bauhauses geschult hat, genügen dafür Aspekte, die Wesen und Erscheinung eines Ereignisses oder einer historischen Phase erkennen lassen, die von Notwendigkeit und Zufall erzählen, Abstraktes und Konkretes in ein Verhältnis setzen und so zu einem Verständnis historischer Prozesse führen. In dem vorliegenden Buch „Dokumente aus dem Bauhaus-Archiv“ Band 3 wird die konkrete Biographie in Relation zur sonst eher abstrakt uns entgegentretenden Geschichte gesetzt und mag so zu einer Erkenntnis über einen spezifischen Ausschnitt historischer Gegebenheiten und Entwicklungen beitragen.

Am Beispiel dieses Schilderungen des ungewöhnlichen Lebens von Etel Fodor-Mittag wird nicht nur ein Stück Bauhausgeschichte aus einer sehr spezifischen persönlichen Position erinnert, sondern auch deutlich, wie viel schwerer es für die Frauen war, die am Bauhaus studiert hatten, weiterhin ihr Talent und ihre Fähigkeiten zu entfalten.  Bei der Geschichte von Etel Fodor-Mittag handelt es sich um eine beispielhafte Biografie, die erahnen lässt, welchen tiefen Einschnitt die Verbrechen des Nationalsozialismus in eine einzelne Biografie bedeuten, aber auch die gesamtgesellschaftlichen Folgen darüber hinaus erkennen lässt. Wie viele Freundschaften sind durch Emigration, Flucht und Ermordung zerstört worden, wie viele Erinnerungen und Werke vernichtet, aber auch künstlerische, politische und soziale Strömungen und Bewegungen abgebrochen.

Es lässt sich hier das Schicksal einer Künstlerin exemplarisch nachvollziehen, einer Frau, die seit ihrer frühen Jugend ihren Freiheitsdrang ausgelebt hat und letztendlich, zur Emigration gezwungen, in einem Land lebt, in dem sie als Frau und Mutter kaum Gelegenheit  hatte, ihre Karriere als Künstlerin fortzusetzen und als solche wertgeschätzt zu werden. Neu anfangen müssend wurde sie als Frau und Mutter in ihrer eigenen kreativen Entfaltung eingeschränkt, lebte das Leben einer Vorort-Mutter, wurde zur Sekretärin ihres selbständig als Architekt arbeitenden Mannes, fand auf einer Farm ihr Glück.

Ihre Lebenserinnerungen berühren und machen Mut, trotz der Melancholie des Rückblickes und der spürbaren Trauer um die Unmöglichkeit der Fortsetzung der eigenen künstlerischen Karriere.

Das Interview, Jahre nach Abschluss des vorliegenden Textes geführt, hat einen anderen Ton, denn zwischenzeitlich wurde ihre erste Einzelausstellung gezeigt, und sie wurde im hohen Alter als Künstlerin gewürdigt.

Ein ungewöhnliches Leben in einer Zeit voller Umbrüche und Konflikte. Das Leben einer modernen Frau und einer hervorragenden Fotografin.

Kerstin Stutterheim, September 2014

Veröffentlicht in: Dokumente aus dem Bauhaus-Archiv Berlin, Band3, Berlin 2014.


[1] Foto © Niels Bolbrinker: Etel Fodor-Mittag und „Tribute to Albers“,

[2] Inv.-Nr. 3256/1, Fotokurs am Bauhaus um 1930

[3] Inv.Nr. 10039/2

[4] Inv.Nr. 10041/2

[5] Inv.Nr. 10033/2


 
 
 

Kommentar abgeben: