Zitat des Monats – Walter Gropius

„Um eine Sprache zu sprechen, müssen wir ihre Worte Kennen und ihre Grammatik, dann erst können wir den eigenen Gedankeneinfall anderen wahrnehmbar machen. Der Mensch, der bildet und baut, muß eine besondere Gestaltungssprache erlernen, um seine Vorstellungen sichtbar machen zu können. Ihre Sprachmittel und die Elemente der Formen und Farben und deren Aufbaugesetze. Der Verstand muß sie kennen und die bauende Hand leiten, damit ein schöpferischer Gedanke erst sinnfällig wäre. Der Musiker, der einen musikalischen Einfall seines inneren Gehörs objektiv hörbar machen will, braucht zu dessen Darstellung außer dem Instrument die Kenntnis des sogenannten Kontrapunktes, der gesetzmäßigen Lehre vom Aufbau der Töne, die zwar wandelbar, aber überindividuell ist. Ohne ihre Beherrschung bleibt der Einfall im Chaos stecken. Denn die Freiheit des Schaffens beruht nicht auf der Gesetzlosigkeit der Ausdrucks- und Gestaltungsmittel, sondern auf freier Bewegung innerhalb ihrer strengen gesetzmäßigen Begrenzung. Was für den Musiker auch heute noch selbstverständliche Voraussetzung seines Schaffens ist, die Kenntnis der Theorie, muß für den bildnerisch arbeitenden Menschen erst wieder gefunden werden; sie bestand in starken Zeiten, ging aber verloren. Die Akademie, deren Aufgabe es gewesen wäre, sie zu pflegen und zu entwickeln, versagte völlig, da sie die Bindung mit der Wirklichkeit verlor. Die Theorie ist nicht Rezept für das Kunstwerk, sondern sie ist das wichtigste objektive Mittel zur kollektiven Gestaltungsarbeit, sie bietet die gemeinsame Grundlage, auf der eine Vielheit von Individualitäten eine höhere Werkeinheit zusammen zu erschaffen vermag; sie ist nicht das Werk von einzelnen, sondern von Generationen.“ Walter Gropius (1923)

Gropius, W. 1923. Idee und Aufbau des Staatlichen Bauhauses. Staatliches Bauhaus in Weimar 1919-1923. Weimar: Staatliches Bauhaus Weimar.


 
 
 

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