Zitat des Monats – Francois Truffaut

Ein Regisseur hat nicht das Recht, sich zu beklagen

Francois Truffaut (1960)

Die Frage nach dem wahren Autor eines Films kann nicht eindeutig beantwortet werden: es gibt Regisseurfilme, Drehbuchautorenfilme, Kameramannfilme, Schauspielerfilme. Grundsätzlich kann man annehmen, dass der Autor eines Films der Regisseur ist und nur er allein, selbst wenn er keine Zeile des Drehbuchs geschrieben, den Schauspielern keine Anweisungen gegeben und keine einzige Kameraposition festgelegt hat; ob gut oder schlecht, ähnelt ein Film immer dem, der als Regisseur verantwortlich zeichnet, und im schlimmsten Falle – dem, den ich gerade beschrieben habe – hätten wir es mit dem Film eines Herrn (sic) zu tun, der weder die Schauspieler geführt, noch am Drehbuch mitgearbeitet, noch den Bildausschnitt festgelegt hat. Selbst mit einem guten Drehbuch, mit Schauspielern, die auch ohne Anweisungen gut spielen, und mit einem tüchtigen Kameramann wäre dieser Film ein schlechter Film, genauer gesagt der schlechte Film eines schlechten Regisseurs.

Meiner Ansicht nach ist der Regisseur das einzige Mitglied des Filmteams, dass nicht das Recht hat, sich zu beklagen oder sich schikaniert zu fühlen. Es ist an ihm, sich gut genug zu kennen und einschätzen zu können, ob er in der Lage ist, diesem oder jenem Problem gewachsen zu sein und es zu seinem Vorteil – zum Vorteil des Films – umzumünzen, oder ob dieses oder jenes Problem eine Konzession bedingt, die wiederum dem Resultat schaden wird. Vergessen wir nicht, dass der größte lebende Regisseur, Jean Renoir, zwar praktisch nur Auftragsfilme oder Romanadaptionen gedreht hat, sich diese aber so zu eigen machte, dass daraus jedes Mal vollkommen persönliche Werke wurden.

Das Interesse des Films, das mit dem Interesse des Regisseurs verschmelzen sollte, kann den individuellen Interessen zuwiderlaufen: der Drehbuchautor sieht seine Intentionen verwässert und Teile des Dialogs gekürzt; der Ausstatter muss hinnehmen, dass man letztlich nur einen Teil seines Dekors benutzt; Stücke aus der musikalischen Partitur fallen bei der Mischung unter den Tisch; die Erfordernisse der Montage unterdrücken die Effekthascherei in eines Schauspielers, der seinerseits ein paar Zeilen aus dem Text weggelassen hat; kurz: jedes Mitglied des Teams mag gute Gründe haben, sich schikaniert oder ausgenützt zu fühlen, aber worauf es ankommt, ist der fertige Film, ob gut oder schlecht.

Zu viele Regisseure haben es sich zur Gewohnheit gemacht, die Mittelmäßigkeit ihrer Filme mit den übertriebenen Ansprüchen des Produzenten zu entschuldigen auf diese Weise ist eine Legende entstanden der zufolge die Ausübung des Regisseur Berufs eine goldene Versklavung ist, die durch die investierten Summen und die Divergenz der vertretenen Interessen diese Funktionen in einen Bereich verlegt, wo Kunst kaum noch Platz hat, an die Antipoden der kreativen Freiheit eines Romanautors, eines Malers oder eines Dramatikers.

(…) Meiner Meinung nach ist also der Druck, dem der Regisseur ausgesetzt ist, etwas fiktives oder etwas, das nur existiert, wenn es sich bei dem Regisseur tatsächlich um einen charakterschwachen, wankelmütigen Menschen handelt. Kein Produzent hat Interesse daran, einen schlechten Film zu finanzieren, und deshalb sollte es immer möglich sein, an einem bereits existierenden Drehbuch noch zu feilen und es zu verbessern.

Gleichwohl ist wahr, dass die Freiheit die einem Regisseur zugestanden wird, in umgekehrtem Verhältnis steht zur Höhe des Budgets. (…)

Aus:

Francois Truffaut: Die Lust am Sehen. Frankfurt am Main: Verlag der Autoren 1999, Seite 17-19


 
 
 

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